Die heute vom Berliner Abgeordnetenhaus vorliegende Änderung des Berliner Polizeigesetzes bewertet Amnesty International als menschenrechtlich unzureichend. Die Menschenrechtsorganisation kritisiert die Ausweitung des Präventivgewahrsams, den Einsatz von Bodycams bei Ordnungswidrigkeiten sowie den unzureichend regulierten Gebrauch von Tasern.
Amnesty International kritisiert die für heute geplante Änderung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) durch das Berliner Abgeordnetenhaus als menschenrechtlich unzureichend. Mit dem verschärften Polizeigesetz reiht sich Berlin in diejenigen Bundesländer ein, die in den vergangenen Jahren polizeiliche Befugnisse ausgeweitet haben. Besonders kritisiert die Menschenrechtsorganisation die Ausweitung des Präventivgewahrsams bei Ordnungswidrigkeiten und die damit zusammenhängende Einschränkung des Rechts auf Protest.
Die vorgesehenen Änderungen ermöglichen, dass der Präventivgewahrsam nun noch einfacher bei Ordnungswidrigkeiten eingesetzt werden kann. Paula Zimmermann, Expertin für Meinungs- und Versammlungsfreiheit bei Amnesty International in Deutschland, sagt: “Der Präventivgewahrsam war einmal als Mittel zur Terrorismusabwehr gedacht. Nun wird er weiter ausgeweitet bei Ordnungswidrigkeiten, bei denen zuvor eine Verwarnung oder ein Bußgeld ausreichte. Das lehnen wir entschieden ab.
Unsere Erfahrung ist: Präventivgewahrsam wurde in diesem Jahr bereits in Bayern, Berlin und NRW dazu missbraucht, unliebsamen Protest vor allem von Klimaaktivist*innen zu unterbinden. Damit wird nicht nur zivilgesellschaftlich notwendiger Protest aktiv verhindert, sondern es werden Menschenrechtsaktivist*innen abgeschreckt, überhaupt an Aktionen teilzunehmen. Das verstößt gegen das Recht auf Versammlungsfreiheit und steht einem Rechtsstaat nicht gut zu Gesicht.”
Weiterhin sieht das verschärfte Berliner Polizeigesetz vor, Bodycams bei Ordnungswidrigkeiten einzusetzen – nicht nur von der Polizei, sondern auch von Feuerwehr- und Rettungskräften. Beate Streicher, Expertin für Polizei und Menschenrechte bei Amnesty International in Deutschland, sagt: “Bodycams sollten ausschließlich bei Straftaten zum Einsatz kommen, nicht schon bei Ordnungswidrigkeiten. Denn Aufnahmen von Bodycams führen unter anderem zu Eingriffen in das Recht auf Privatsphäre und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Wir begrüßen, dass auch Betroffene von polizeilichen Maßnahmen Polizist*innen auffordern können, Bodycams einzuschalten. Außerdem sollen Polizist*innen Bodycams beim Einsatz von Gewalt einschalten. Sinnvoller und auch rechtlich klarer wäre es jedoch gewesen, die Polizist*innen in dem Gesetz dazu umfassend zu verpflichten.”
Das geänderte Gesetz erlaubt zudem, dass die Polizei Taser nutzt. Dazu Streicher: “Der Einsatz von Tasern kann Menschen schwer verletzen oder sogar töten, besonders, wenn Betroffene Vorerkrankungen haben, psychisch stark belastet sind oder Drogen konsumieren. Weil die Gefährlichkeit von Tasern regelmäßig unterschätzt wird, ist die Wahrscheinlichkeit für den Missbrauch hoch.
Eigentlich sollte der Einsatz von Tasern nur eine Alternative sein, wenn andernfalls der Tod durch Schusswaffen droht. Dies gewährleistet das Gesetz aber nicht, sondern erlaubt Tasern auch als Ersatz für Hiebwaffen.”
Amnesty International bewertet es als problematisch, dass der Einsatz von Tasern keine spezielle Ausbildung vorsieht. Das Gesetz sieht außerdem keine ärztliche oder forensische Untersuchung getaserter Personen vor, ebenso wenig wie eine Dokumentations- und Veröffentlichungspflicht aller Einsätze. Amnesty International fordert den Berliner Senat auf, regelmäßig neu zu bewerten, ob der Tasereinsatz die hohen Risiken überwiegt.
Amnesty kritisiert geplante Änderungen des Polizeigesetzes in Nordrhein-Westfalen
Anlässlich der Anhörung des Innenausschusses zu den Änderungen des nordrhein-westfälischen Polizeigesetzes im Landtag erklärt Maria Scharlau, Expertin für Polizei und Menschenrechte bei Amnesty International in Deutschland:
“Der nordrhein-westfälische Gesetzentwurf steht in einer Reihe mit geplanten Verschärfungen der Polizeigesetze in vielen Bundesländern, die aus Sicht von Amnesty International kritisch zu sehen sind.
Durch die unbestimmte Definition einer ‘drohender Gefahr’ bleibt, ähnlich wie im kürzlich geänderten bayerischen Polizeiaufgabengesetz, völlig unklar, durch welches Verhalten Menschen in Zukunft ins Visier der Polizei geraten können. Das bedeutet zum einen, dass es den zuständigen Beamten überlassen und zugemutet wird, zukünftig auf Grundlage vager Vermutungen agieren zu müssen. Zum anderen verletzen derartige Bestimmungen das Prinzip der Rechtssicherheit: Alle Menschen müssen einschätzen können, bei welchem Verhalten sie gegebenenfalls mit polizeilichen Maßnahmen rechnen müssen.
Zu den geplanten polizeilichen Maßnahmen gehört zum Beispiel, dass ein Mensch ganz ohne Strafverdacht oder akute Gefahr bis zu sieben Tage zur Feststellung ihrer Identität festgehalten werden kann. Wenn die Polizei eine ‘drohende Gefahr’ für möglich hält, droht den Betroffenen die Inhaftierung über einen Zeitraum von sieben Tagen bis zu einem Monat und die Anordnung von Fußfesseln. Damit werden Menschen de facto bestraft, ohne gegen das Gesetz verstoßen zu haben – und ohne ihre in einem Strafverfahren garantierten Rechte wahrnehmen und sich beispielsweise einen Pflicht-Anwalt nehmen zu können. Es ist rechtsstaatlich und menschenrechtlich unzulässig, jemanden, der keine akute Gefahr darstellt und gegen den kein Strafverdacht vorliegt, überhaupt und dann auch noch über einen derart langen Zeitraum zu inhaftieren.
Die Landesregierung begründet diese neuen Befugnisse mit dem Hinweis auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom April 2016 zum alten Bundeskriminalamts-Gesetz. Dabei überschreiten die Verfasser des Gesetzes die sehr engen Grenzen, die das Bundesverfassungsgericht in dem Urteil für absolute Ausnahmebefugnisse gezogen hat. Ein Agieren der Polizei bevor tatsächlich eine Gefahr besteht – vom Gericht zugelassen für die Bekämpfung einer terroristischen Bedrohung – wird auf die allgemeine Verbrechensbekämpfung ausgedehnt. Zudem gehen die genannten Maßnahmen weit über die vom Bundesverfassungsgericht vorgesehene Möglichkeit der Überwachung hinaus – bis hin zur Inhaftierung.
Nur auf Grundlage des subjektiven Verdachtes, dass eine Person in Zukunft möglicherweise eine Straftat begehen könnte, werden also unverhältnismäßige polizeiliche Maßnahmen ermöglicht. Die vorgesehenen Änderungen gefährden die freie Gesellschaft und den Rechtsstaat. Amnesty International fordert die Landesregierung daher dazu auf, den Gesetzesentwurf so anzupassen, dass Menschenrechte und Rechtsstaatsprinzip gewahrt bleiben.”
Geänderter Entwurf für NRW-Polizeigesetz weist weiterhin menschenrechtliche Mängel auf
Amnesty International kritisiert fehlende Rechtssicherheit und Verstoß gegen die Unschuldsvermutung
BERLIN, 13.11.2018 – Das NRW-Innenministerium hat nach Kritik unter anderem aus der Zivilgesellschaft Änderungen am Entwurf des neuen NRW-Polizeigesetzes vorgenommen. Am heutigen Dienstag findet im Düsseldorfer Landtag eine Anhörung zum überarbeiteten Gesetzentwurf statt. Dazu äußert sich Maria Scharlau, Expertin für Polizei und Menschenrechte bei Amnesty International in Deutschland:
“Der neue Entwurf zum Polizeigesetz verstößt – trotz aller Änderungen – an mehreren Stellen gegen Menschenrechte und Rechtsstaatsprinzipien. Nach wie vor ermöglicht das Gesetz einschneidende Maßnahmen wie zum Beispiel Fußfesseln oder Telefonüberwachung auf der Grundlage nur vager Anhaltspunkte für eine allein mögliche, zukünftige Gefahr. Das verstößt gegen die Unschuldsvermutung, weil Menschen de facto bestraft werden, ohne dass sie sich strafbar verhalten haben.”
“Darin liegt aber auch ein Verstoß gegen die Rechtssicherheit: Alle Menschen müssen wissen, durch welches Verhalten sie ins Visier der Polizei geraten können – das ist auch durch den neuen Gesetzentwurf nicht gewährleistet.”
Transparenz im Rechtsstaat ist keine Einbahnstraße
Anlässlich der zweiten Sachverständigenanhörung zur Polizeirechtsnovelle im Sächsischen Landtag fordert Amnesty International eine menschenrechtskonforme Ausgestaltung der Regelungen zu Bodycams. Aufzeichnungen dürfen nicht nur für den Schutz der Polizei selbst genutzt werden, sondern müssen auch zur Aufklärung von Polizeigewalt dienen.
Dresden, 12. März 2019 – In einer erneuten Sachverständigenanhörung zum geplanten Sächsischen Polizeivollzugsdienstgesetz (PVDG) widmete sich der Landtag heute der Zulässigkeit und Verhältnismäßigkeit der Bodycams, die mit einem Änderungsantrag in den bereits vorliegenden Gesetzentwurf eingebracht wurden. Amnesty International spricht sich nicht grundsätzlich gegen den Einsatz von Bodycams aus, mahnt aber zu einer menschenrechtlichen Ausgestaltung, hinter der die neuen Bestimmungen bisher noch zurückbleiben. “Uns ist es vor allem ein wichtiges Anliegen, dass auch Betroffene von polizeilichen Übergriffen die Möglichkeit haben, die Aufnahmen zur Wahrung ihrer Interessen zu nutzen”, meint Philipp Krüger, Sprecher der Themenkoordinationsgruppe Polizei und Menschenrechte bei Amnesty International, der als Sachverständiger zur Landtagsanhörung geladen war.
Entsprechend der derzeitigen Regelungen soll die Bodycam speziell dem Schutz der Polizeibeamt_innen vor Angriffen dienen, ihre Aktivierung liegt teilweise im Ermessen der einzelnen Beamt_innen. So legitim dieses Anliegen ist, muss aus Menschenrechtsaspekten aber eine “informationelle Waffengleichheit” zwischen der Polizei und den Bürger_innen hergestellt werden, denn: Auch unverhältnismäßige Polizeigewalt ist eine Realität, die ernst genommen und entschieden bekämpft werden muss. Die Aufzeichnungen der Bodycam dürfen nicht nur einseitig die Beamt_innen schützen, sondern müssen ebenfalls den Betroffenen zur Verfügung gestellt werden, damit diese ihre Rechte durchsetzen können. Außerdem darf die Aktivierung der Bodycam nicht im Ermessen der einzelnen Beamt_innen liegen, sondern sollte grundsätzlich immer dann erfolgen, wenn die Polizei unmittelbaren Zwang einsetzt. Transparenz im Rechtsstaat ist keine Einbahnstraße. Nur wenn auch polizeiliches Handeln transparent und nachvollziehbar gemacht wird, kann das öffentliche Vertrauen in die Beamt_innen gesichert werden.
“Es muss außerdem klar sein, dass auch die Bodycams kein Allheilmittel sind. Aufgrund der schwierigen wissenschaftlichen Lage braucht es mehr unabhängige Forschung zu dem Thema”, so Krüger weiter. Studien zum Einsatz von Bodycams bringen bislang sehr widersprüchliche Ergebnisse vor: Während einige Studien darauf hindeuten, dass Bodycams Gewaltakte durch als auch gegen die Polizei verringern, legen andere Untersuchungen nahe, dass diese die Gewalt gegen Beamt_innen sogar noch verstärkt haben. Zu hoch gegriffene Erwartungen an die deeskalierende Wirkung der Bodycams sind deshalb mit Vorsicht zu genießen.
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